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Zweiter Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen: Ein Ergebnis das „verpflichtet“.

Die Euphorie des ersten Mandats von Staatspräsident Emmanuel Macron, der eine „neue politische Welt“ mit neuen Gesichtern anführte und mit seinen Ansätzen einer „Start-up-Nation“ auch im Ausland begeisterte, ist verflogen. Seine Wahl ist eine gute Nachricht für Europa — ein zeitnaher Besuch in Berlin ist zu erwarten -, innenpolitisch drohen ihm jedoch zahlreiche Herausforderungen.

Bestandsaufnahme

Staatspräsident Emmanuel Macron wurde mit 58,54 % der Stimmen wiedergewählt (66,1% im Wahljahr 2017). Damit liegt er mit 17 Prozentpunkten Vorsprung vor Marine Le Pen; ein Ergebnis, das am Ende deutlicher ausgefallen ist, als es die letzten Umfragen vorhergesagt hatten. Mit fast 13,3 Millionen Stimmen erzielte die Kandidatin des Rassemblement National das beste Ergebnis, das je ein Kandidat der extremen Rechten bei den Präsidentschaftswahlen eingefahren hat. Experten sprechen in Frankreich von einem soliden Wahlerfolg, wenn Präsidenten mit mehr als 60% der Stimmen wiedergewählt werden. Es muss betont werden, dass es sich um kein Duell zwischen zwei moderaten Kandidaten gehandelt hat, sondern Macron den Sieg gegen eine Rechtspopulistin eingefahren hat.

Abgesehen von den Ergebnissen der beiden Kandidaten gibt es mehrere Daten, die diese Wahl historisch erscheinen lassen.

Nach Angaben des Innenministeriums war die Wahlenthaltung beim zweiten Wahlgang erneut hoch und erreichte mit 28,01 % den höchsten Stand seit über 50 Jahren.  Insgesamt blieben mehr als ein Viertel der Wähler den Urnen fern. Das ist mehr als vor fünf Jahren (25,44 %). Auch im Vergleich zum ersten Wahlgang am 10. April (26,31 %) ist die Wahlenthaltung gestiegen.

Bereits im Vorfeld des zweiten Wahlgangs hatten zahlreiche Franzosen angekündigt, weder für Macron noch für Le Pen stimmen zu wollen. In diesem Kontext sind auch die Zahlen der ungültigen oder sogenannten „weißen Stimmen“ (vote blanc) von Relevanz. Insgesamt trafen 8,6 % aller Wähler keine Wahl zwischen den beiden Kandidaten. Im Einzelnen gaben 6,35 % der Wähler einen „weißen“ Stimmzettel und 2,25 % einen ungültigen Stimmzettel ab. Das ist mehr als im ersten Wahlgang, als 1,5 % der Wähler eine „weiße“ Stimme und 0,69 % eine ungültige Stimme abgegeben hatten.

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der bei dem ersten Wahlgang auf dem dritten Platz landete, hatte an seine Wähler plädiert, dass „keine Stimme an Marine Le Pen gehen darf“. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Opinionway stimmten 54 % der befragten Wähler der Partei La France insoumise im zweiten Wahlgang für den amtierenden Präsidenten. Fast ein Viertel (24 %) stimmte für Marine Le Pen und 22 % enthielten sich der Stimme oder gaben einen weißen oder ungültigen Stimmzettel ab.

Emmanuel Macron ist der dritte Präsident, der in allgemeiner Direktwahl wiedergewählt wurde. Vor ihm war dies nur zwei Präsidenten gelungen: François Mitterrand (1981-1995) und Jacques Chirac (1995-2007). Es ist zudem das erste Mal, dass ein amtierender Präsident seit der Einführung des Quinquennats im Jahr 2002, der fünfjährigen Amtszeit des Präsidenten, und ohne Kohabitation wiedergewählt wurde.

Marine Le Pen lag in 28 Départements an der Spitze. Es handelt sich um Départements, in denen Rassemblement National traditionell stark sind, im Norden und Osten Frankreichs sowie im Südosten. Auch in den französischen Überseegebieten und auf Korsika fiel die Wahl deutlich zugunsten der rechtsextremen Kandidatin aus. 2017 hatte Marine Le Pen nur in zwei Départements mehr Stimmen als ihr Herausforderer erhalten.

Nächste Schritte: Was folgt jetzt?

Wahlbeobachter betonen, dass die Parlamentswahlen, die im Juni (12. und 19. Juni 2022) anstehen, als dritter Wahlgang einzuordnen sind, der klar über die politische Zukunft des Landes entscheiden wird. Der Erfolg der zweiten Amtszeit von Emmanuel Macron wird auch von den Mehrheitsverhältnissen der Parlamentswahlen abhängen. Es bleibt abzuwarten, ob die En Marche-Bewegung eine Mehrheit einfahren wird oder ein Bündnis der Mitte-Parteien zustande kommen wird und somit die politischen Ränder rechts und links die stärksten Oppositionsparteien stellen werden.

Auch die Regierungsbildung in den nächsten Tagen wird klar die neue politische Laufrichtung von Staatspräsident Emmanuel Macron aufzeigen, auch wenn eine Regierungsumbildung nach den Parlamentswahlen zu erwarten ist in der sich die Mehrheitsverhältnisse der neuen Nationalversammlung wiederspiegeln könnte. Derzeit bestehen zahlreiche Spekulationen, insbesondere was die Besetzung des Postens des Premierministers betrifft. Zahlreiche Medien vermuten, dass es aus Proporzgründen eine Frau sein wird und geben an, dass die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, gute Aussichten auf das Amt hat. Gleichzeitig sprechen Macrons klare Signale an das linke Lager gegen die bürgerlich-konservative Politikerin. Der neue Premierminister wird als zentrale Aufgabe die Steuerung des „ökologischen Übergangs“ innehaben, der im Fokus der zweiten Amtszeit von Emmanuel Macron stehen soll.

Emmanuel Macron definierte bereits mehrere „vorrangige Themen“, auf die er sich „schon in diesem Sommer“ oder im kommenden Jahr konzentrieren will. Dazu gehört die Kaufkraft, die eines der Hauptthemen des Wahlkampfs war. Macron versprach „noch in diesem Sommer ein Sondergesetz zur Kaufkraft zu verabschieden“, das insbesondere die Renten an die Inflation anpassen soll (derzeit etwa 4 %) und die Abgaben für Selbstständige senken soll. Der Staatspräsident will zudem Unternehmen zur Zahlung einer „Arbeitnehmerdividende“ (Gewinnbeteiligung oder Auszahlung eines „Kaufkraftbonus“) zwingen: Diese Prämie — auch „Macron-Bonus“ genannt — wurde 2019 als Reaktion auf die Forderungen der Gelbwesten-Protestler eingeführt. Sie ermöglicht es Arbeitgebern, Arbeitnehmern, die weniger als das Dreifache des Mindestlohns verdienen, eine Prämie zu zahlen, die für den Arbeitnehmer steuerfrei und für den Arbeitgeber von den Sozialversicherungsbeiträgen befreit ist. Bisher lag die Obergrenze bei 1.000 Euro, Macron will sie nun auf 6.000 Euro anheben. Um den steigenden Energiepreisen entgegenzuwirken, plant Macron außerdem einen „Schutz vor steigenden Gas- und Strompreisen“.

Die zahlreichen Reformen, die Macron angesichts der schweren Krisen seines ersten Mandats nicht durchführen konnte, legt er nun für die Monate nach den Parlamentswahlen auf den Tisch. Die künftige Regierung soll noch im Sommer „eine vollständige Reform der Tarifverträge und der Organisation des öffentlichen Dienstes“ in Angriff nehmen.  Als nächstes will Macron seine Rentenreform auf den Weg bringen, die zu seinen wichtigsten Maßnahmen, aber auch zu den umstrittensten Punkten seines politischen Programms gehört. Der Staatspräsident plant das Renteneintrittsalter jedes Jahr um vier Monate auf 64 Jahre „bis 2027-2028“ anzuheben und „eine Klausel“ einzuführen, die überprüfen soll, ob eine Erhöhung auf 65 Jahre „bis 2031“ notwendig ist. Die Reform beinhaltet auch eine Erhöhung der Mindestrente auf 1.100 Euro (980 Euro aktuell).

Macron ist weniger konkret, was die Fristen für seine anderen „vorrangigen Themen“ angeht. In einem Interview mit Le Figaro Anfang April versprach er, im ersten Jahr seiner Amtszeit Reformen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, regionale Autonomie und Justiz auf den Weg zu bringen, ohne jedoch ins Detail zu gehen. Für die Bereiche Bildung und Gesundheit versprach Macron einen „neuen Ansatz“, der eine „umfassende Konsultation“ mit den Betroffenen in diesen beiden Bereichen vorsieht.

Ausblick:  Politische Herausforderungen

Schlaglicht I: Die Wahlen haben erneut die große Politikverdrossenheit der Franzosen und insbesondere der jungen Generation belegt. Die anstehenden Parlamentswahlen werden diese Tendenz voraussichtlich bestätigen. Es besteht Handlungsbedarf, um die Wähler wieder zu mobilisieren und in den demokratischen Entscheidungsprozess einzubinden.

Mit 28,01 %, wurde wie oben erwähnt der höchste Stand der Wahlenthaltung seit über 50 Jahren erreicht. Rund 8,6% drückten ihren Unmut über die Politik durch einen ungültigen oder weißen Wahlzettel aus. Zahlreiche Wähler weigerten sich, erneut durch einen „vote utile“ eine Wahl zwischen zwei Kandidaten treffen zu müssen, die in keiner Weise ihre eigenen politischen Überzeugungen wiederspiegeln. Der „Front républicain“, also die demokratische Barriere gegen die politischen Extreme bröckelte deutlich. Studenten, die zwischen den beiden Wahlgängen aus Protest gegen das erneute Duell Macron-Le Pen französische Hochschulen besetzten, sprachen von einer Wahl zwischen „Pest und Cholera“ und stellten den wiedergewählten Staatspräsidenten dementsprechend auf eine Stufe mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Es handelt sich hier um klare Warnzeichen für die französische Demokratie, die gerade die junge Generation wieder „abholen“ und für die französischen republikanischen Prinzipien zurückgewinnen muss. Das kann durch Reformen der Institutionen erfolgen, z.B. durch ein Wahlsystem, das deutlicher die Meinungen der Franzosen abbildet. Staatspräsident Emmanuel Macron hatte bereits 2017 eine solche Reform angekündigt, während seines ersten Mandats jedoch nicht durchgeführt. Auch wenn Staatspräsident Emmanuel Macron im Wahlkampf von neuen demokratischen „Werkzeugen“ sprach, und beispielsweise die „Große Nationale Debatte“ in zentralen Politikbereichen wiederbeleben möchte, stellt sich jedoch die Frage, inwiefern diese Formen der politischen Partizipation in der Vergangenheit erfolgreich waren und in Zukunft die Politikverdrossenheit der Franzosen verringern werden. Mit den Europawahlen 2024, den Kommunalwahlen 2026 sowie einem Superwahljahr 2027 (Präsidentschafts-, Parlaments- und Regionalwahlen) sieht sich Emmanuel Macron großen Herausforderungen gegenüber, an denen sich letztlich der wirkliche Erfolg seiner zwei Mandate messen wird.

Schlaglicht II: Im Rahmen der Regierungsbildung und der anstehenden Parlamentswahlen wünscht sich Macron eine „große Partei der Mitte“. Es stellt sich die Frage, ob ein Bündnis der Mitte-Parteien zu erwarten ist, was für die weitere Entwicklung der französischen Parteienlandschaft nicht ungefährlich sein könnte. Die ehemaligen Volksparteien würden in diesem Fall vermutlich in ihrem „politischen“ Wiederaufbau ausgebremst, extremistische Ränder gestärkt.

Die Konstituierung eines Bündnisses der Mitte-Parteien kristallisiert sich bereits seit 2017 heraus und könnte nach den Präsidentschaftswahlen und im Rahmen der Parlamentswahlen auf eine neue Ebene gehoben werden. Der s.g. „Front républicain“ – die Republikanische Front, die sich nach dem ersten Wahlgang gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen gebildet hat, hat Staatspräsident Emmanuel Macron in die Bringschuld gebracht. Der Staatschef dankte den Kandidaten ausdrücklich für die Wahlempfehlungen. Ihm scheint jedoch auch bewusst zu sein, dass er nicht den Fehler von Jaques Chirac von 2002 wiederholen darf. Dieser wurde mit Stimmen anderer Parteien und insbesondere aus dem linken Lager zum Staatspräsidenten gewählt, bot jedoch im Nachgang weder bei Regierungsbildung noch bei der Konstituierung der Nationalversammlung Allianzen mit diesen Parteien an, die deutlicher die Bandbreite der Wählermeinungen wiedergespiegelt hätten. Am Wahlabend des ersten Wahlgangs betonte Emmanuel Macron bereits, dass er den anderen Parteien die Hand reichen würde, denn es ist derzeit offen, ob die En Marche-Bewegung bei den Parlamentswahlen eine eigene Mehrheit gewinnen kann. Bei seiner Rede vor dem Eiffelturm am Wahlabend des zweiten Wahlgangs betonte er, dass er nun nicht mehr der Kandidat eines politischen Lagers, sondern der Präsident aller Franzosen sein will.  Die Mehrheit in der Nationalversammlung hat die Bewegung bereits in der letzten Legislatur verloren und war auf Bündnisse mit anderen politischen Kräften der Mitte (Agir, MoDem) angewiesen. Als neue Bündnispartei hat sich 2022 die neugegründete Partei des ehemaligen Premierministers Edouard Philippe, Horizons, ins Spiel gebracht. Es bleibt zu beobachten, wie sich das bürgerlich-konservative Lager der Républicains in Folge der Wahlniederlage ihrer Kandidatin Valérie Pécresse positionieren wird.

Der ehemalige Parteivorsitzende der bürgerlich-konservativen Partei Les Républicains Jean-François Copé hat Emmanuel Macron bereits zu einem „Regierungspakt“ mit seiner Partei aufgerufen. „Ich bin mir natürlich der sehr starken Protestwahl bewusst, aber ich sehe auch die Realität vor Ort“, so Copé, der auf die starke lokale Verankerung der Républicains verwies. Eine gemeinsame Regierung mit dem bürgerlich-konservativen Lager würde es Macron ermöglichen „aus der einsamen Monarchie auszusteigen“ und in den Bereichen, in denen er nicht vorangekommen ist (Sicherheitspolitik, Reformen etc.) ein Gleichgewicht zu finden. Bei der Vorstandssitzung der Partei nach dem ersten Wahlgang wurde die Hypothese eines potenziellen Bündnisses mit der Mehrheit des Präsidenten diskutiert, stößt aktuell jedoch noch auf breiten internen Widerstand. 20 Parlamentarier scheinen derzeit bereit zu sein, sich auf den Listen der Regierungsmehrheit zu platzieren. Die Parteispitze betonte, dass eine Wahlkampfunterstützung von LR-Kandidaten durch die Partei über 5000 EUR nur gesichert ist, wenn sich die Kandidaten bereiterklären würden, nicht die Regierungsmehrheit zu unterstützen. Experten weisen auf die Gefahr einer erneuten Spaltung der Partei Les Républicains in ein Macron-kompatibles Lager und einer Annäherung der nationalkonservativen Kräfte an den Rechtspopulisten Eric Zemmour hin. Das würde das Ende der Volkspartei bedeuten.

Stärker noch als im bürgerlich-konservativen Lager scheinen die Wahlen 2022 das Ende der ehemaligen Volkspartei Parti socialiste auf nationaler Ebene bestätigt zu haben. Sollte die linkspopulistische Partei La France Insoumise es schaffen, weitere Kräfte des linken Lagers an sich zu binden, wäre die französische Linke durch den politischen Kurs der Partei dominiert und moderate Kräfte hätten keine politische Heimat mehr. Entwicklungen in diese Richtung zeichnen sich bereits ab: LFI hat dem linken politischen Lager einen Zusammenschluss unter dem Namen „Volksunion“ vorgeschlagen, um „eine politische Mehrheit in der Nationalversammlung“ aufzubauen.  Gestärkt durch die 22 % der Stimmen, die Jean-Luc Mélenchon bei den Präsidentschaftswahlen erhalten hat, plädiert die Parteispitze für ein gemeinsames Programm auf Basis der Vorschläge von LFI, das im Gesetzgebungsprozess als Referenz für die zu formulierenden Abstimmungen dienen soll. Mélenchon erhofft sich so eine Mehrheit in der Nationalversammlung und erhob bereits Anspruch auf das Amt des Premierministers.

Schlaglicht III: Staatspräsident Emmanuel Macron kann aus verfassungsrechtlichen Gründen kein drittes Mandat in Folge antreten und deswegen seinen Reformkurs „ungebremst“ durchführen. Eine Lähmung des Landes infolge von starken Protesten und Streiks ist allerdings nicht ausgeschlossen, was auch die europäischen Partner im Blick behalten sollten.

Insbesondere in Hinblick auf zwei Themenbereiche sind soziale Unruhen zu erwarten. Bereits 2019 waren die Proteste zu einer geplanten Rentenreform eskaliert und hatten zu einer landesweiten Lähmung geführt. Eine Anhebung des Rentenalters auf 65 Jahre, wie Staatspräsident Emmanuel Macron in seinem Wahlprogramm ankündigte, wird kaum auf gesellschaftlichen Konsens stoßen. Auch wenn Macron im Laufe des Wahlkampfes sein Projekt zunehmend aufweichte und ein Referendum zur Rentenpolitik in Aussicht stellte, werden Gewerkschaften und Opposition diese Reform als Angriffsfläche nutzen. Auch die Ableistung von 15 bis 20 sozialen Arbeitsstunden mit dem Ziel der beruflichen Wiedereingliederung für Empfänger des Arbeitslosengeldes RSA sorgt im linken Lager bereits für Aufregung. Der Generalsekretär der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, kritisierte, dass die Maßnahme den Eindruck erweckt, dass sich Arbeitslose „freiwillig in ihrer prekären Lage befinden“. Statt Sozialstunden einzufordern, sollte die Regierung ihnen eine Arbeit beschaffen, die ihren Qualifikationen entspricht, so Martinez.

Soziale Proteste scheinen vorprogrammiert. Eine Lähmung Frankreichs durch wochenlange Streiks würde jedoch hohe Kosten für die französische Wirtschaft mit sich bringen. Die Streiks rund um die Rentenreform aus den Jahren 2019/2020 sollen zu Verlusten von 400 Millionen Euro pro Tag geführt haben; einen „Luxus“, den sich Frankreich angesichts der hohen Ausgaben und Verluste im Rahmen der Pandemie und des Ukrainekriegs nicht leisten kann. Soziale Unruhen würden auch weitere Wähler in die Arme der politischen Ränder treiben.

Schlaglicht IV: Nach der Wahl ist vor der Wahl: Auch für das Wahljahr 2027 könnte ein Duell zwischen Progressiven und den politischen Rändern drohen. Ein erneuter „Front républicain“ wird dann nicht mehr sichergestellt sein; der politische Diskurs wird sich in den kommenden Monaten noch verschärfen.

Die oben nachgezeichneten Entwicklungen lassen vermuten, dass auch im Wahljahr 2027 ein Duell zwischen progressiven Kräften und politischen Rändern droht. Letztere fanden sich bereits 2022 im ersten Wahlgang unter den Top 4 waren (Marine Le Pen 23,1%/ Abstand von 17,2% im zweiten Wahlgang, Jean-Luc Mélenchon 22%, Eric Zemmour 7,1%) und könnten von einem verschärften politischen Diskurs in Frankreich profitieren und weitere Wählergruppen für sich gewinnen, insbesondere, wenn Parlamentswahlen die Spaltung der politischen Parteienlandschaft in Progressive und Ränder bestätigt. Es würde in diesem Fall kein Vakuum mehr für einen „Front républicain“ oder den sogenannten „vote utile“ bestehen, die bisher die Wahl eines „demokratischen“ Kandidaten sichergestellt haben. Die Wähler würden sich vielmehr für das „Lager des Systems“ oder eben das Antisystem entscheiden, was eine Gefahr für die Französische Republik und ihre europäischen Partner darstellt.

Schlaglicht V: Im Kontext des Ukrainekriegs sieht sich Staatspräsident Emmanuel Macron in seinem europapolitischen Kurs bestätigt und wird im Bereich der Verteidigungspolitik während seines zweiten Mandats vermutlich mehr Engagement von Deutschland erwarten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in den Augen vieler Europäer Recht behalten: Seine seit 2017 vertretene These, dass die europäische Souveränität und die gemeinsame Verteidigung ausgebaut werden müssen, wird heute von zahlreichen Staats- und Regierungschefs unterstützt. Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit seinem Angriffskrieg dazu beigetragen, dass sich diese Vorhaben beschleunigen werden müssen. Auch das Agieren des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump bestärkte Macron in seiner Sichtweise, dass Europa „sein Schicksal selbst in die Hand nehmen“ müsse. Ansonsten bestehe das Risiko, geopolitisch zu verschwinden, warnte Macron. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft debattierten die Mitgliedstaaten über den „Strategischen Kompass“. Dieser sollte zunächst die künftigen Bedrohungen definieren, die Europa treffen könnten. In einem ersten Entwurf vom Januar 2022 war von möglichen Angriffen im Weltraum und im Cyberspace sowie von hybriden Angriffen etwa durch das Steuern von Flüchtlingsbewegungen die Rede. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wurden die Bedrohungsszenarien noch einmal neu formuliert und der Platz Europas in einer „multipolaren Welt“ betont. Zu den wichtigsten Rüstungsprojekten gehört das Luftkampfsystem FCAS. Das europäische Projekt geht jedoch nur schleppend voran. Auch bei der Entwicklung des Kampfpanzers MGCS, bei dem Deutschland federführend sein sollte, hakt es. Die russische Invasion in die Ukraine hat die europäische Verteidigungspolitik vor neue Herausforderungen gestellt. In Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene sind Tabus gefallen, insbesondere bei Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Verteidigungsausgaben wurden massiv erhöht. Die Nato hat einen neuen Stellenwert eingenommen. Geplant ist nun bis Juni eine gemeinsame Erklärung von EU und Nato, in der die ergänzenden Rollen der beiden Organisationen neu abgesteckt werden. Und schließlich will die EU eine Einsatzgruppe mit 5000 Soldaten gründen. All dies geht in die Richtung, die Macron schon zu Beginn seines ersten Mandats eingeschlagen hatte — und in einem möglichen zweiten Mandat sicher weiterverfolgen wird; mit der Hoffnung auf einen Antrieb durch den deutsch-französischen Motor.

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